Auf und ab

Ich begann mein Dasein als Kugel auf einer weiten ebenen Fläche. Die Natur hatte mir ein normales Maß an Bewegungsenergie mitgegeben und so rollte ich unbeschwert dahin.
Ich genoß meine Freiheit und lernte viel über das Leben als Kugel.
Ich sah Kugeln, die auf Berge rollten - eine Seite hinauf und die andere Seite umso schneller hinab.
Nur wenigen gelang es, ihre Vorwärtsbewegung genau auf dem Gipfel in eine Kreiselbewegung umzuwandeln.
Eine sehr stabile Konstellation!
Verlor so eine Kugel jedoch ihr Gleichgewicht, so konnte sie auch in der Ebene ihre Richtung nicht mehr bestimmen. Das war dann doch ein recht trauriges Los...
Ich rollte durch weite, flache Täler und fand dort Kugeln, die aus ihrem Tal nicht mehr heraus konnten.
Sie glaubten auch nicht mehr, daß es hinter ihrem engen Horizont weitergehen könnte.
Solche, die noch relativ viel Bewegungsenergie hatten, rollten weit durch die Senke und hatten große Ideen. Kugeln, die schon lange in ihrer Senke lebten, näherten sich dem tiefsten Punkt und ihr Denken verhärtete sich mehr und mehr.
Ich rollte hierhin und dahin und überall war es schön.
Ab und zu rollte ich über einen Hügel oder durch eine leichte Senke - ein angenehmes Auf und Ab.

Ich kam an Löchern vorbei, in denen Kugeln lagen, Kugeln wie ich! Ich konnte nicht verstehen, was sie dort unten suchten, aber im Grunde war es mir auch egal, ich rollte weiter und weiter.
Doch das Schicksal ist ungnädig!
Unvermittelt, ohne jede Vorwarnung rollte ich selbst in so ein Loch. Meine ganze Energie verlor ich mit einem Schlag.
Heute überlege ich, ob es nicht vielleicht besser ist, ruhig in meinem Loch zu liegen, als über diese grenzenlose Ebene zu rollen.
Nur wenn die Nächte besonders dunkel sind, hoffe ich, daß von irgendwoher eine magische Energie kommen möge, mich zu befreien...

Ying und Yang - ©1990