Einbahnstraße

In einer kleinen Stadt am Rande der Welt (es war nicht Schilda) soll es einmal eine lange Sackgasse gegeben haben, an deren Anfang das Schild "EINBAHNSTRASSE" stand.
Von Zeit zu Zeit verirrte sich immer wieder einmal ein Autofahrer in diese Gasse und da es ja eine Ein-bahnstraße und damit verboten war zurückzufahren war die Gasse nach einer Anzahl von Jahren völlig verstopft.
Ein schwerwiegendes, unlösbares Problem für die Stadtväter, hatten sie doch einst die Regeln aufge-stellt, welche sich nun so deutlich als falsch erwie-sen.
Eines Tages aber kam einer (es war kein Prinz), der setzte sich einfach in den letzten Wagen und fuhr ihn aus der Sackgasse. So machte er es mit allen Wagen, bis kein einziger mehr in der Gasse stand. Alle waren sehr verwundert, aber auch froh.
Kurze Zeit später jedoch, standen schon wieder die ersten Autos in der Sackgasse - man hatte nichts gelernt!
In der gleichen Stadt gab es eine Frau, die sich verliebte, obwohl sie verheiratet war. Um niemandem weh zu tun, und weil es sich so gehörte, blieb sie bei ihrer Familie, gab ihrem Gefühl in keiner Weise Raum.
Ein Teil von ihr aber blieb in der Sackgasse.

Eine Frau heiratete einen Mann. Sie liebte ihn nicht, aber "ES" war passiert, und sie erwartete ein Kind von ihm, und DIE LEUTE von ihr die Hochzeit...

Ein Mann arbeitete lange Jahre bei einer Firma. Die Arbeit machte ihm schon lange keinen Spaß mehr, aber sie bot Sicherheit...

Ein wichtiger Politiker hatte eine falsche Entscheidung getroffen, aber er mußte Standfestigkeit, Kontinuität und Zuverlässigkeit beweisen...

So verliert jeder von uns im Laufe der Zeit tausend Teile seiner selbst in tausend verschiedenen Sack-gassen des Lebens. Und ein jeder hofft und wartet, daß irgendwann einmal einer oder eine kommen möge, ihn zu befreien.
Dabei hat keiner von uns den Schlüssel abgegeben, um selbst aus der Sackgasse herauszufahren:
Rückwärts, gegen die Regel "EINBAHNSTRASSE"!

Vorwärts, gegen die Tatsache "SACKGASSE", indem er die Mauern durchbricht!

Jeder ist in der Lage, sich zu befreien, für keinen ist es zu spät. Es ist nur mehr oder weniger schwer...

Einbahnstraße - ©1989
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