Freundschaft... ich hatte einen albtraum ...

Er sagte von sich 'ich bin ich', und er hatte viele Freunde. Er war Individualist, ungeeignet für die Staatsform, in der er lebte.
Heinrich war gerade fünfundzwanzig, als er wegen seiner revolutionären Ideen auffiel und im öffentlichen Interesse von der Staatsgewalt in Gewahrsam genommen wurde.
Das Ganze war natürlich nur eine feine Umschreibung für einen finsteren Kerker, doch auch hier fiel er auf, ließ nicht ab von seinen Ideen...
So wurde er denn aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zum Tode verurteilt und am Morgen eines grauverhangenen Tages von zwei Männern zur Exekution abgeholt.
Der eine der beiden hatte ein grimmiges Gesicht und war in die Uniform der hiesigen Streitkräfte gekleidet, der andere war ganz in Schwarz, ohne daß man erkennen konnte, welche Funktion er ausübte. Nicht einmal sein Gesicht war zu sehen.
Heinrich wurde durch die große Stadt geführt, in der keine Menschenseele zu sehen war - nicht Freund, nicht Feind. Es war, als hätte hier nie jemand gelebt.

Es wurde ein schwerer Gang. Seine beiden Bewacher unterhielten sich über die verschiedenen Möglichkeiten der Exekution.
Einmal konnte Heinrich einen Blick auf das Gesicht des Schwarzgekleideten erhaschen, und er wunderte sich nicht, als er erkennen mußte, daß es der Tod persönlich war.
Der Weg zum Richtplatz zog sich weit und weiter.
Es wurde Abend und es wurde Nacht. Heinrich dachte an seine Freunde.
Gegen Mitternacht machte ihn ein helles Leuchten aufmerksam, und er sah gen Himmel, wo hoch über ihm im Zenit der Mond stand, aber es war nicht der Mond allein, den er dort sah. Es waren Sonne und Mond, die sich zu so unpassender Zeit zu jenem strahlenden Leuchten vereint hatten.

Doch kaum hatte Heinrich dieses Gebilde erkannt, als am Horizont ein zweites Leuchten erschien, schnell größer wurde, zum Zenit strebte, sich mit dem ersten zu vereinen.
Auch dies war eine Konstellation aus Sonne und Mond! Kaum daß sich beide Sonne-Mond-Paare überlagerten, klomm das nächste Paar am Horizont auf, und es wurden immer mehr, von allen Seiten rasten Leuchtfeuer, bestehend aus Sonne und Mond aufeinander zu, verschmolzen zu einem unirdischen Leuchten aus Sonnenlicht und Mondlicht.
Heinrich schrie, er schrie, wie noch nie in seinem Leben, weil er verstand...:

Wenn es zwei Freunde sind,
die einander kennen,
Sonn' und Mond begegnen sich
eh' sie sich wieder trennen.

...und er wurde wahnsinnig, er schrie in größter seelischer Pein.

Das letzte, was er noch bewußt wahrnehmen konnte, war: "Solche Qualen dürfen wir nicht beenden, wir setzen die Exekution aus! Der Delinquent darf leben!"

Die Geschichte hat auch ein Happyend:

Heinrich lebt heute wieder mitten unter uns, als normaler Mensch - aber sein Herz ist aus Stein....
Man sagt, er habe viele Freunde.

Das Schicksal richtet alle Gefühle - ©1988