OsternFrohe Ostern

Ihr müßt wissen, ich habe eine Tochter.
Und weil wieder Ostern geworden war, und ich einen Hang zu althergebrachten Traditionen habe, war ich an diesem Ostersonntagmorgen sehr früh aufgestanden, um in unserem Garten Ostereier zu verstecken. Ich malte mir schon das glücklichstrahlende Gesicht meiner Tochter aus.
Als ich gerade ein kleines Nest unter unserer Forsythie anlegte, sah ich - ihr werdet es bestimmt nicht glauben, ich glaubte es ja selbst nicht - wie ein leibhaftiger Osterhase mit einem Korb auf dem Rücken über unser Grundstück hoppelte.
Das einzig seltsame an diesem Hasen war, abgesehen von der aufrechten Haltung - aber die gehört sich ja schließlich für einen Osterhasen -, daß seine Vorder- und Hinterläufe blutig waren.
Auch auf seiner Brust trug er eine häßliche große Wunde. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah, ich kniff mich in die Wange, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Und der Hase war (natürlich) verschwunden.
Noch etwas benommen ging ich zu der Stelle, wo gerade noch der Osterhase gestanden hatte und fand das Gras blutverschmiert. Das Blut war rot und doch hatte ich den Eindruck, daß da nichts, überhaupt nichts, sei. Es war wie ein Loch in dieser Welt.
Ich steckte meinen Finger in das Blut, und er verschwand einfach, das heißt eigentlich wurde er nur rot, aber er war nicht mehr da, er war einfach nicht mehr da. Die ganze Welt um mich herum fing plötzlich an zu verschwimmen und löste sich in gigantischen Kaskaden von farbigem Licht auf. Nichts, was mir noch vor wenigen Minuten etwas bedeutet hatte, war nun noch wichtig. Um mich herum war alles hell, es gab keine Formen, keine Gegenstände, keinen Laut, nur reine Harmonie. Dieses Blut, das es eigentlich überhaupt nicht geben konnte, brannte mir mit unvorstellbarer Gewalt die Botschaft in die Seele, daß das Paradies greifbar nahe in uns und um uns zu finden ist.
Ich habe später nie mehr Ostern gefeiert, denn Ostern war fortan in mir.
Ich gebe zu, ich hatte den Sinn des Osterfestes bis zu diesem Erlebnis total vergessen. Das wichtigste für mich ist jedoch, daß ich einen guten Teil dieser Osterbotschaft in meinen Alltag retten konnte. Ich bin heute viel gelassener, und ich weiß: wir alle sind Gottes Kinder.

Frohe Ostern - ©1984