Der SpiegelDrachenkampf

An diesem Morgen war Monika sehr aufgeregt.
Auf dem Weg zur Schule dachte sie noch einmal über alles nach. Wie hatte alles begonnen?
Damals, als sie in die Schule kam, hatten sich die Kinder in ihrer Klasse wirklich gut miteinander verstanden. Man spielte miteinander, war fröhlich und lernte miteinander. Doch dann irgendwann, heimlich und von den meisten unbemerkt, zog Unfriede ein.
Die Kinder schlugen sich, beschimpften sich und sahen dabei gar nicht, daß sie sich das Leben nur selbst schwer machten. Keiner ging mehr gerne zur Schule.
Für Moni war dieser Zustand besonders schlimm. Man lachte über sie. Nicht, weil sie vielleicht irgendetwas lustiges sagte, sondern einfach, weil das eben alle so machten. Und man schloß sie aus. Immer ein kleines bißchen mehr. Bei den wenigen gemeinsamen Spielen, die noch geblieben waren.
Gestern aber war etwas wunderbares geschehen. Kurz bevor Moni einschlief, war in ihrem Zimmer eine Fee erschienen. Sie war wunderschön, und sie sagte: "Hier gebe ich dir einen Zauberspiegel. Jeder, dem du diesen Spiegel vorhälts erkennt sich selbst."

Moni fragte: "Und was soll ich damit?" Die Fee antwortete: "Wenn du diesen Spiegel jemandem vorhältst, der sich für schwach hält und es in Wirklichkeit nicht ist, so wird derjenige sehen, wie groß seine Kraft ist und wo seine Talente liegen. Hältst du den Spiegel jemandem vor, der böse ist, so wird sich derjenige ebenfalls im Spiegel erkennen und beide werden ihr Verhalten ändern."
Daraufhin verschwand die Fee und Moni schlief bald ein. Sie schlief sehr unruhig, und als sie am Morgen erwachte, glaubte sie einfach, geträumt zu haben. Doch neben ihrem Bett lag der Spiegel. Langsam, mit zitternden Fingern nahm sie den Spiegel auf und sah hinein.
Sie sah ein mutiges kleines Mädchen, dessen Augen wie Blitze strahlten und plötzlich wußte sie, daß sie alles erreichen konnte, wenn sie es nur wirklich wollte.
Von diesem Moment an, war der Morgen nicht mehr einfach grau, weil sie nun ja zur Schule mußte, sondern er war irgendwie golden angemalt.
Fröhlich singend, Monis Mutter wunderte sich wirklich sehr, machte sie sich für die Schule fertig und ging los.
Und jetzt fieberte sie dem Moment entgegen, an dem sie vor der Klasse stehen würde, um ihre Geschichte vorzulesen. Die Zeit verging fast wie im Flug. Niemand konnte sie ärgern, niemand konnte sie aus dieser wunderbaren Stimmung bringen. Dann kam ihre Stunde.
Sie stand vor der Klasse und las mit fester, klarer Stimme ihren Aufsatz vor. Doch wie hätte es anders sein können, egal, was sie sagte, die ganze Klasse lachte, wiehernd, bösartig und gemein. Da holte Moni ihren Spiegel hervor und hielt ihn hoch über sich.
Alle Kinder schauten in den Spiegel und sie sahen grauenvoll verzerrte Fratzen, vor Schadenfreude entstellte Gesichter, von Ärger und Haß aufgezehrte kleine Kinderaugen, und sie erschraken fürchterlich.
Moni steckte den Spiegel schnell wieder ein. Der Lehrer hatte gar nichts bemerkt. Als wäre nichts gewesen, las sie ihre Geschichte zu Ende. Keiner lachte mehr. Alle sahen nur sehr ernst drein. Der Lehrer wunderte sich nicht schlecht. Das Beste aber passierte in den darauf folgenden Tagen. Die ganze Klasse versuchte redlich, gut miteinander auszukommen. Plötzlich machte allen die Schule wieder Spaß. Jeder half dem anderen. Das ganze Leben hatte für jedes einzelne Kind aus Monis Klasse wieder einen neuen positiven Anstrich bekommen.

Drachenkampf - ©1985